Was ist die Integrative Faszientherapie nach Andreas Haas und was macht sie so besonders?
In der integrativen Faszientherapie wird der Mensch als ganzheitliches, vernetztes und holistisches System betrachtet. Im Gegensatz zum seperativen Ansatz, der auf Einzelelemente abzielt, geht der integrative Ansatz von einem vernetzten System aus, in dem alle Einzelelemente voneinander abhängig sind und sich gegenseitig bedingen! Im therapeutischen Kontext betrifft dies das komplexe Zusammenspiel zwischen dem Bewegungsapparat, den viszeralen Systemen, dem somatischen Nervensystem und Vegetativum mit dessen Bezug zu Psyche, Emotion und Stimmungslage. Der integrative Ansatz hat die Wiederherstellung der Einheit und das harmonische Zusammenspiel der einzelnen Elemente zum Ziel. Symptome werden nicht als einzelne, isolierte Phänomene betrachtet, sondern als Ausdruck des gesamten Organismus, dessen Fähigkeit zur Regulation in bestimmten Bereichen geschwächt ist. Die Integrative Faszientherapie sucht jene Bereiche, in denen der Organismus Unterstützung und Stärkung benötigt. Ziel ist es, den Organismus in einen regenerativen Prozess zu führen.
Woran sind fasziale Störungen für mich als Therapeutin erkennbar und wie zeigen sie sich?
Zahlreiche traditionelle Medizinsysteme beschäftigen sich mit der Körpersprache und der Phänomenologie. Hierzu gehören die klassische und traditionelle chinesische Medizin, die ayurvedische Medizin und auch die Homöopathie. Gemeinsames Prinzip ist es, Erscheinungsformen und Körpersprache als Grundlage der Therapie einzusetzen. Im Besonderen sind auch der körperliche und der verbale Ausdruck von Bedeutung. Diesem Zugang bedient sich auch die integrative Faszientherapie. Relevant sind die Art und Weise, in der sich Symptome zeigen, die Art des Schmerzes und die Besonderheit der individuellen Wahrnehmung. Körpersprache, Haltung, Bewegungsmuster, verbale Beschreibungen, zyklische Phänomene und vieles mehr fließen in die Anamnese mit ein. Das erklärte Therapieziel ist es, den Organismus individuell angepasst zu unterstützen, sodass Eigenregulation stattfinden kann und die Genesung unterstützt wird. Die Phänomenologie und die Körpersprache sind hierbei der Schlüssel zum Erfolg, da spezifische Faszienstrukturen sich in konkreten, faszientypischen Beschwerden zeigen.
In welche einzelnen Fasziensysteme gliedert sich die Integrative Faszientherapie?
Das somatische Fasziensystem:
Somatische Faszien stehen im Bezug zum menschlichen Bewegungsapparat. Sie umhüllen jeden einzelnen Muskel des Körpers, ziehen in den Muskel hinein, wo sie Faserbündel bilden und sogar jede einzelne Muskelzelle als Endomysium umhüllen. Sie ermöglichen die Gleitbewegungen der Muskelfasern und übertragen als Sehnen die Kräfte.
Somatische Faszien bilden außerdem die Faszien des passiven Bewegungsapparates. Hierzu gehören das Periost (die Knochenhaut), Gelenkkapseln, Bänder (Ligamenta) und Sehnenscheiden. Somatische Faszien stabilisieren, geben dem Bewegungsapparat die Form, übertragen Kräfte und sind gleichzeitig für die Bewegungsführung zuständig. Darüber hinaus haben sie eine hohe Dichte an Rezeptoren, die für die Wahrnehmung der Gelenkstellung und der Bewegung zuständig sind (Propriozeption).
Die somatische Faszientherapie beschäftigt sich mit dem Erkennen von somatisch bedingten Störungen und der Wiederherstellung der gesunden, physiologischen Funktion.
Das viszerale Fasziensystem:
Viszerale Faszien umhüllen alle inneren Organe. Sie sind zuständig für die räumliche Ordnung der Organe( Viszera), die Positionierung, die Einbettung in Körperhöhlen und die Verbindungen zum Bewegungsapparat. Insbesondere das Zwerchfell als wichtigster Atemmuskel hat über Faszien intensive Beziehungen zu zahlreichen Organen, wie etwa zur Leber, zu den Nieren oder zum Magen. Durch fasziale Verbindungen sind z.B. die Nieren am Zwerchfell „befestigt“, wodurch sie jeder Atembewegung folgen. Diese Bewegung unterstützt die Filtration der Nieren ganz wesentlich. Zusätzlich erfolgt bei allen Organen ein Großteil der viszeralen Wahrnehmung durch die Innervation der Faszien. Die viszerale Faszientherapie beschäftigt sich mit dem Erkennen von Störungen, die im viszeralen Fasziensystem ihren Ursprung haben. Ganz besondere Bedeutung hat hierbei die Phänomenologie der Faszien, also die Art und Weise, in der sich fasziale Änderungen zeigen und wie diese empfunden werden. Die viszerale Faszientherapie hat die Intention durch Wiederherstellung der faszialen Physiologie die Organfunktionen im viszeralen Raum zu optimieren.
Das neurogene Fasziensystem:
Neurogene Faszien sind die Faszien des Nervensystems. Hierzu zählen die zentralen Faszien, wie Dura mater und Pia mater (Hirnhäute), und auch die peripheren Faszien, die alle Nerven begleiten und umhüllen. Das neurogene Fasziensystem hat wichtige Schutzfunktionen, insbesondere Schutz vor mechanischen Belastungen, wie erhöhtem Druck oder Zug. Desweiteren ermöglichen die neurogenen Faszien das Gleiten und die Bewegung des Nervensystems zwischen allen Organen und zwischen allen Muskeln. Somit ist das neurogene Fasziensystem ein tragendes Element des zentralen und peripheren Nervensystems. Dysfunktionen der Faszien können Einschränkungen des Nervensystem nach sich ziehen und zu zahlreichen Symptomen führen, unter anderem auch erhöhte Sensibilität und Schmerzempfindung. Die neurogene Faszientherapie beschäftigt sich mit dem Erkennen von Störungen, die in faszialen Komponenten des Nervensystems ihren Ursprung haben. Ziel ist es, die Dynamik wiederherzustellen und spannungsfreie Räume für das Nervensystem zu schaffen.
Die Integration des Vegetativums:
Ein besonderer Aspekt der Integrativen Faszientherapie ist es, das vegetative Nervensystem in die Behandlung und Therapie mit einzubeziehen. Das Vegetativum steht mit der Funktion aller inneren Organe in Beziehung. Im Besonderen regelt es ganze Körpersysteme, wie zum Beispiel das Hormonsystem, das Immunsystem, das Verdauungssystem oder das uro-genitale System.
Neue Fachbereiche der Wissenschaft, wie etwa die Psychoneuroimmunologie lehren uns, dass Psyche, Stimmungslagen und das Selbstbildnis in engem Zusammenhang mit Organfunktionen stehen und sich gegenseitig beeinflussen. Einen besonders wertvollen und therapeutisch relevanten Ansatz bringt die Polyvagal-Theorie nach Stephen Porges. Diese zeigt in eindrücklicher Weise, wie das Empfinden des Menschen (das „eigene Selbst“ in der Umwelt) für die Regulation viszeraler Funktionen entscheidend ist. Die Integrative Faszientherapie bezieht das Vegetative Nervensystem in die Therapie mit ein. Über angepasste manualtherapeutische Anwendungen wird gezielt auf das sympathische und parasympathische System Einfluss genommen, mit der Intention, einen Ausgleich im psycho-vegetativen System zu erreichen.
Welche Ziele hat die Faszientherapie? Was kann eine Faszientherapie bewirken?
Die Ziele der integrativen Faszientherapie liegen darin, dem Organismus seine Kapazitäten wiederzugeben, seine Ressourcen zu stärken und ihm damit seine Fähigkeit zur eigenen Regulation zurückzugeben. Dadurch kann der Körper zurück zur körpereigenen Selbstheilung oder wenn eine Heilung nicht mehr möglich ist zur Kompensationsfähigkeit gebracht werden, um Strukturen langfristig stabil zu kompensieren. Kapazitäten zu schaffen und Ressourcen zu stärken, bedeutet in diesem Fall, das fasziale System von Festigkeiten im Gewebe zu befreien, Funktionale Kettenproblematiken aufzuspüren und zu behandeln, um eine damit einhergehende verminderte Wahrnehmung und/ oder veränderte Reaktionsfähigkeit auf eintreffende Reize zu verringern. Wenn ich zum Beispiel Beschwerden und Einschränkungen im Hüftbereich habe, bedeutet es, dass der Organismus Kapazitäten in anderen Bereichen des Hüftgelenks, aber auch im Bereich des Sprunggelenks, des Kniegelenks und des Rückens braucht, um vorhandene Einschränkungen im Hüftbereich langfristig kompensieren und ausgleichen zu können. Kann er dieses nicht, weil das Fasziengewebe über eine mangelnde Gleit- und Dehnfähigkeit verfügt oder verdickt und unorganisiert ist, werden sich die Beschwerden im Hüftbereich deutlich verstärken und die Symptomatik sich im Laufe der Zeit auf die umliegenden Regionen ausweiten. Hierbei betrachten wir fasziale Ketten und Räume die in Zusammenhang stehen und somit auch zusammen behandelt werden müssen, um langfristige Erfolge zu erzielen. Ziel der Faszientherapie ist es dabei, den Teufelskreis der Abwärtsspirale zu durchbrechen und den Beginn zurück zur Fasziengesundheit zu legen, in dem auf vielfältige Weise der Körper in seiner Funktionalität unterstützt wird.
Wie ist der Ablauf der Faszientherapie und wie lange dauert sie?
Am Anfang jeder ganzheitlichen Faszientherapie steht eine umfassende Anamnese, die auf die Phänomene und Körpersprache des menschlichen Organismus besonderen Fokus legt und eine daraus resultierende zielgerichtete Untersuchung ergibt. Im Weiteren wird aus den gewonnenen Erkenntnissen ein Behandlungsplan erstellt und eine ganzheitliche Therapie abgeleitet. Die Behandlungsdauer beträgt pro Behandlung 45 Minuten. Zu Beginn der Therapie ist ein wöchentlicher Abstand meist angezeigt, um dem Körper eine bestmögliche Unterstützung in der Anpassung zu bieten und schnelle Erfolge zu erzielen. Mit zunehmender Besserung der Beschwerdesymptomatik werden die Behandlungsabstände größer und die Eigeninitiative im Alltag im Hinblick auf Sport und Bewegung bekommt eine größere Bedeutung.
Umfangreiche Informationen zur Fasziopathie und Integrativen Faszientherapie nach Andreas Haas finden sie hier: www.fasziopathie.com